Notwehr trotz Provokation?

Insbesondere bei Körperverletzungen stellt sich häufig die Frage, ob der Beschuldigte in Notwehr gehandelt hat oder nicht. Aus dem Bereich der Notwehr hat der Bundesgerichtshof (BGH) nun eine wichtige Entscheidung getroffen. Dabei ging es um die Frage, wann das Notwehrrecht aufgrund vorangegangener Provokation eingeschränkt ist.

Das Landgericht hatte den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt, nachdem dieser den Nebenkläger mit einem Messer lebensgefährlich verletzte. Eine Notwehr lehnte das Landgericht ab, da der Angeklagte gegenüber einer dem Geschädigten nahestehenden Person ein Verhalten gezeigt hat, welches auf den Geschädigten provozierend gewirkt haben soll. Dies bedeutet, dass das Landgericht angenommen hatte, dass der Beschuldigte die Situation selbst provozierte und sich daher nicht auf Notwehr berufen durfte.

Dem widersprach der Bundesgerichtshof. Nicht festgestellt werden konnte, dass der Geschädigte den Angeklagten tatsächlich wegen dem Vorfall angriff oder, ob der Angriff nicht aus anderer Motivation erfolgte. Grundsätzlich kann eine schuldhafte Provokation das Notwehrrecht dahingehend einschränken, dass der Notwehrübende gehalten ist bevor er sich verteidigt, den Angriff durch zum Beispiel Flucht abzuwenden. Dafür ist jedoch nach Ansicht des Bundesgerichtshofs notwendig, dass zwischen der Provokation, die ein zumindest sozialethisch zu missbilligendes Verhalten beinhalten muss, und zu dem Angriff ein enger zeitlicher, räumlicher und motivationaler Zusammenhang bestehen muss. Der Angreifende muss den Angriff gegen den Notwehrübenden gerade wegen der Provokation vornehmen. Ist eine andere Motivation handlungsentscheidend, ist eine Einschränkung des Notwehrrechts nicht mehr angemessen.

Der Strafverfolgung zugrundeliegende Grundsatz „in dubio pro reo“ – im Zweifel für den Angeklagten – hätte das Landgericht veranlassen müssen, den für den Angeklagten günstigeren Sachverhalt zugrunde zu legen. Da dies unterblieben ist, hatte die Revision Erfolg.

 

BGH, Beschluss vom 17.06.2020 – 4 StR 658/19