Kein Widerruf der Bewährung, wenn Bewährungszeit verlängert werden kann

Eine Bewährungsstrafe kann nach § 56f. Abs. 1 StGB widerrufen werden, wenn der Verurteilte in der Bewährungszeit eine Straftat begeht und dadurch zeigt, dass sich die positive Erwartung, die der Strafaussetzung zu Grunde lag, nicht erfüllt hat. Erfolgt solch ein Widerruf, muss der Beschuldigte die Freiheitsstrafe im Gefängnis absitzen.

Die Bewährung darf aber nicht bei jeder neuen Straftat direkt widerrufen werden. Vielmehr muss die neue Straftat in einem inneren und sachlichen Zusammenhang zu der früheren Straftat stehen. Außerdem hat das Gericht bei einer Widerrufsentscheidung zu berücksichtigen, ob es nicht ausreicht, weitere Auflagen oder Weisungen zu erteilen, insbesondere den Verurteilten einem Bewährungshelfer zu unterstellen oder die Bewährungs- bzw. Unterstellungszeit zu verlängern (§ 56f Abs. 2 Nr. 1, 2 StGB). Solch ein Vorgehen gebietet der Resozialisierungsgedanke des Strafrechts. Die Vollstreckung einer Haftstrafe soll aufgrund möglicher negativer Auswirkungen für das Leben des Verurteilten das letzte Mittel sein. Vorrangig soll der Verurteilte durch weitere Weisungen oder die Unterstützung eines Bewährungshelfers in Freiheit dazu befähigt werden, ein Leben ohne Straftaten zu führen.

In der Praxis widerrufen die Gerichte Strafaussetzungen jedoch häufig viel zu schnell. So war es auch in einem aktuellen Fall, der dem Oberlandesgericht Brandenburg (OLG) vorlag. Gegen den Verurteilten wurden unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verhängt, die nach Verbüßung von zwei Dritteln gemäß § 57 Abs. 1 StGB zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Dauer der Bewährungszeit wurde auf vier Jahre bestimmt.

In dieser Zeit wurde der Verurteilte allerdings wegen mehrerer Straftaten, unter anderem auch wegen einer vorsätzlichen Körperverletzung, erneut verurteilt. Das Landgericht Cottbus hat deshalb die damals gewährte Reststrafenaussetzung nach § 56f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB widerrufen und wies darauf hin, dass sich die positive Erwartung bei der Strafaussetzung nicht erfüllt habe. Es lägen Gesichtspunkte vor, die gegen eine günstige Kriminalprognose des Verurteilten sprechen würden. Unter anderem führte das Gericht die langjährige Alkoholabhängigkeit des Verurteilten an, die einen erheblichen Risikofaktor für das Begehen weiterer Straftaten darstelle. Diese Gesichtspunkte wären, so zumindest das Landgericht, dazu geeignet, den Widerruf der Aussetzung der Restfreiheitsstrafe zu rechtfertigen.

Das Oberlandesgericht widersprach dieser Einschätzung jedoch insbesondere, da das Landgericht bei der Widerrufsentscheidung zwischenzeitlich eingetretene positive Umstände nicht ausreichend berücksichtigt hatte. Es zeigte sich eine positive Entwicklung des Verurteilten, da sich dieser erfolgreich einer stationären Entgiftungsbehandlung unterzog und zudem eine stationäre Rehabilitierung durchführen wird. Dies weist nach Ansicht des OLG darauf hin, dass bei dem Verurteilten doch die Wahrscheinlichkeit künftiger Straffreiheit besteht, sodass ein Widerruf nicht (mehr) gerechtfertigt ist und es stattdessen ausreicht, die Bewährungszeit um ein weiteres Jahr zu verlängern und den Verurteilten in dieser Zeit auch weiterhin der Aufsicht eines Bewährungshelfers zu unterstellen. Dem Verurteilten bleibt der Strafvollzug damit erspart und er kann weiterhin in Freiheit daran arbeiten, sein Leben wieder in geregelte Bahnen zu bringen.

 

OLG Brandenburg, Beschluss vom 09.09.2019 – 2 Ws 184/19