Aktuelle Revisionen Bundesverfassungsgericht über Voraussetzungen der Untersuchungshaft
Bundesverfassungsgericht über Voraussetzungen der Untersuchungshaft
Die Untersuchungshaft zählt zu den schwersten Eingriffen im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren. Mit der Anordnung der Untersuchungshaft (U-Haft) wird dem Beschuldigten die Freiheit präventiv entzogen. Aufgrund der nur präventiven Inhaftierung sind an die U-Haft hohe Anforderungen zu stellen. Bei der Entziehung der Freiheit des Bürgers spielen auch immer verfassungsrechtliche Fragen eine Rolle.
Die Amtsgerichte, Landgerichte und Oberlandesgericht sind häufig jedoch zu schnell dabei, einen Haftbefehl zu erlassen, beziehungsweise diesen zu bestätigen. In letzter Instanz bietet sich sodann nur eine Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) an. So führte auch in dem hier vorliegenden Fall erst die Verfassungsbeschwerde zur erfolgreichen Aufhebung des Haftbefehls.
Im konkreten Fall ging es um einen 17-Jährigen, der Beschwerdeführer der Verfassungsbeschwerde, dem Beihilfe zum Totschlag in Tatmehrheit mit gefährlicher Körperverletzung vorgeworfen wurde. Als Mitglieder einer Jugendgruppe geriet er mit einem Passanten in Konflikt. Als sich der Beschwerdeführer und der Passant gegenüberstanden, machte der Beschwerdeführer zunächst einen Schritt zurück, bevor der Passant ihn weiter von sich stieß und der Beschwerdeführer zu Boden fiel. Unmittelbar danach versetzte der Beschuldigte dem Passanten einen tödlichen Schlag. Im weiteren Verlauf wandte sich die Gruppe einem anderen Passanten zu, der dem tödlich Getroffenen helfen wollte, und versetzte auch diesem Passanten mehrere Schläge und Tritte. An diesem Geschehen nahm der Beschwerdeführer nicht teil, sondern beobachtete dies aus Distanz.
Das Amtsgericht (AG) ordnete auf Antrag der Staatsanwaltschaft die U-Haft gegen den Beschwerdeführer und den weiteren Gruppenmitgliedern an. Das Verhalten des Beschwerdeführers wertete das AG als Beihilfe zum Totschlag in Tatmehrheit mit gefährlicher Körperverletzung. Die Beihilfe ergebe sich nach Ansicht des Amtsgerichts aus der Mitgliedschaft in der Gruppe. Jedes Mitglied wäre zu dem Zeitpunkt bereit gewesen, die Passanten zu attackieren oder den Handelnden durch schiere Präsenz zu unterstützen. Das Oberlandesgericht (OLG), welches sich schließlich mit der Haftfortdauerentscheidung beschäftigte, schloss sich der Argumentation des Amtsgerichts an.
Dieser Einschätzung widersprach das BVerfG. Der dringende Tatverdacht ist nicht hinreichend begründet, wenn lediglich auf die abstrakte Gefährlichkeit gruppendynamischer Prozesse und auf eine gruppenbezogene Gesamtbetrachtung abgestellt wird. Es muss stets auf die individuellen Handlungen der Tatbeteiligten eingegangen werden.
Nicht nur wurde der dringende Tatverdacht nicht hinreichend begründet, sondern auch hinsichtlich des Haftgrunds der Fluchtgefahr, fehlt es an einer ausreichenden Begründung. Das OLG hatte die Fluchtgefahr aufgrund der zu erwartenden Freiheitsstrafe bejaht, und sich dabei nicht mit dem jungen Alter, den stabilen familiären Verhältnissen und der Berufsausbildung des Beschwerdeführers auseinandergesetzt — alles Umstände, die klar gegen eine Fluchtgefahr sprechen. Erst recht, da auf den Beschwerdeführer noch das Jugendstrafrecht anzuwenden ist, welches in § 72 JGG eine noch strengere Begründung der U-Haft fordert. Auch hierauf ist das OLG nicht eingegangen.
Aufgrund der mangelhaften Begründung des OLG zur Haftfortdauer, hebt das BVerfG den Beschluss auf. Der Beschluss verletzt den Beschwerdeführer in seinem Freiheitsrecht aus Art. 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 GG. Das OLG wird erneut über die Haftfortdauer des Beschwerdeführers entscheiden müssen. Diesmal hat es eine Einzelfallbetrachtung vorzunehmen und auf die individuellen Handlungen des Beschwerdeführers einzugehen. Besonderes Augenmerk ist auf die Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit der U-Haft zu legen. Die U-Haft muss in jedem Falle das letzte Mittel darstellen. Vor allem bei Minderjährigen muss dieser Grundsatz aufgrund von § 72 JGG besondere Bedeutung erlangen.
Hier zeigt sich, dass auch die Verfassungsbeschwerde ein häufig notwendiges Mittel sein kann, um die Rechte des Mandanten zu schützen. Dr. Böttner Rechtsanwälte und Strafverteidiger verteidigen vor allen Gerichten und Instanzen, um jedem einzelnen Mandaten die bestmögliche Verteidigung bieten zu können.
BVerfG, Beschluss vom 9. März 2020 - BvR 103/20